Social Media als Orientierung in Krisenzeiten
Krieg, Klimakrise und Inflation prägen die aktuelle Nachrichtenlage. Über Social Media erreichen solche Nachrichten Jugendliche heute beinahe ununterbrochen. Diese ständige Präsenz von Krisenmeldungen und die Konfrontation mit derartigen Themen können den Blick in die Zukunft oft pessimistisch erscheinen lassen. Viele Jugendliche haben deshalb das Gefühl, ständig von Krisen und Unsicherheiten umgeben zu sein. In einer Lebensphase, die ohnehin schon von Veränderungen und Selbstfindung geprägt ist, kann dies den Wunsch nach Halt und Orientierung zusätzlich verstärken. Im Folgenden soll deshalb geklärt werden, welche Rolle Social Media beim Umgang mit Krisen spielt.
Wieso nutzen Menschen Social Media in Krisenzeiten?
Egal ob gesellschaftliche oder persönliche Krisen: Das Bedürfnis nach Sicherheit, Austausch und Kontrolle wächst. Aus psychologischer Sicht nutzen Menschen Social Media in Krisen, um vier grundlegende Bedürfnisse zu erfüllen:
- Bindung: Interaktive Austauschmöglichkeiten und Rückmeldungen anderer Nutzer*innen schaffen das Gefühl, nicht allein mit der Krise umgehen zu müssen.
- Orientierung und Kontrolle: Durch Informationsaustausch und Diskussionen entsteht der Eindruck, die Lage besser zu verstehen. Auch mögliche Handlungsoptionen können durch Social Media Inhalte aufgezeigt werden.
- Selbstwerterhöhung: Social Media erlaubt Identitätsbildung und Selbstdarstellung. Besonders in unsicheren Zeiten kann dies das Selbstwertgefühl stabilisieren.
- Eskapismus: Humor, Ablenkung und digitale Vernetzung mit Gleichgesinnten bieten Flucht aus der Krisenrealität. Bekannte Memes wie „This is fine“ zeigen, wie die junge Generation Humor als Bewältigungsstrategie nutzt.
Social Media ist dabei ein Format, das scheinbar schnelle Befriedigung dieser Bedürfnisse liefert. Insbesondere bei Krisen, die persönliche Kontakte unterbinden, wie die Corona-Krise, kann Social Media eine tragende Rolle für die zwischenmenschliche Verbindung spielen.
Traditionelle Werte als Orientierung
Unsicherheiten und Krisen führen nicht nur zu verstärkter Online-Aktivität, auch die Besinnung auf traditionelle Werte lässt sich beobachten. In einer Welt, die als zunehmend unübersichtlich und unkontrollierbar erlebt wird, wächst der Wunsch nach Stabilität und klaren Bezugspunkten. Viele Jugendliche wenden sich dabei wieder stärker ihrer Familie zu, die für sie Halt und Orientierung bietet.
Das Rückgreifen auf traditionelle Werte wie Familie und klare Rollenbilder zeigt sich jedoch auch in problematischen Strömungen: In der sogenannten „Tradwife“-Szene oder in Formen „toxischer Männlichkeit“ werden starre Geschlechterrollen als Halt in Krisenzeiten vermarktet. Besonders Dating-Coaches nutzen die Unsicherheiten junger Menschen, indem sie Orientierung versprechen und klassische „männliche“ Tugenden propagieren. Auch Christfluencer*innen betonen, die Kernfamilie müsse gegen eine vermeintlich „woke“ Gesellschaft verteidigt werden. In bestimmten digitalen Gemeinschaften werden traditionelle Werte idealisiert und als Antwort auf globale sowie persönliche Krisenerfahrungen angepriesen.
Weitere Herausforderungen
Mit der intensiven Nutzung von Social Media in Krisenzeiten gehen verschiedene Herausforderungen einher, die emotionale Belastungen verstärken können. Beispielsweise steigt in Phasen hoher Unsicherheit die Anfälligkeit für Falschinformationen. Dabei verstärken algorithmisch gesteuerte Inhalte bestehende Meinungen und erschweren eine differenzierte Sichtweise. Auch Influencer*innen, deren Inhalte Jugendliche teilweise als Informationsquellen nutzen, können zur Verbreitung meinungsgefärbter Inhalte beitragen oder Information und Produktwerbung miteinander vermischen. Dennoch zeigen Studien, dass viele junge Nutzer*innen zwar Social Media als Informationsquellen nutzen, jedoch in Krisenzeiten auch etablierte journalistische Quellen wieder gezielt ansteuern, um sich zu orientieren.
Eine weitere Herausforderung, die bei Social Media Nutzung in Krisenzeiten auftreten kann, ist Doomscrolling. Hierbei sind Nutzer*innen in ständiger Konfrontation mit negativen Inhalten ausgesetzt, was zu Angst, Stress und dem Gefühl von Hilfslosigkeit führen kann.
Tipps und Hinweise
Social Media ist in Krisenzeiten weit mehr als bloße Unterhaltung. Die Nutzung kann für Jugendliche als Kommunikationsraum, Kompass und Ablenkung dienen. Eltern sollten deshalb Verständnis dafür haben, dass Social Media vor allem in Krisenzeiten für Jugendliche ein wichtiges Instrument ist – insbesondere für den sozialen Austausch. Doch nur dann, wenn die Nutzung bewusst erfolgt und Inhalte kritisch eingeordnet werden, gelingt es, sich nicht darin zu verlieren und sich emotional abzugrenzen.
Eltern können dabei helfen, digitale Resilienz zu fördern, indem sie Jugendliche unterstützen, Informationen kritisch zu hinterfragen und Inhalte zu reflektieren. Sie sollten außerdem zu einer bewussten Mediennutzung anregen, etwa durch regelmäßige Pausen und das Vermeiden von Doomscrolling.
Zugleich kommt Eltern eine wichtige Orientierungsfunktion hinzu. Jugendliche benötigen in Krisenzeiten Halt und nachvollziehbare Werte. Offen über Sorgen zu sprechen und ein realistisches, aber zuversichtliches Weltbild zu vermitteln, hilft Jugendlichen, Unsicherheit besser auszuhalten und Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit zu entwickeln.