Social Media Verbot in Australien – eine Einschätzung
Ein einfaches Mittel für ein komplexes Problem? Die australische Regierung hat kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das vorsieht, Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren den Zugang zu mehreren Social Media Plattformen – darunter Instagram, Facebook, Reddit, Snapchat, TikTok und X – vollständig zu verbieten. Messenger wie WhatsApp sind vom Verbot ausgenommen. Auch YouTube darf zum Beispiel für Lernzwecke verwendet werden. Das Parlament begründet diesen Schritt mit der Einschätzung, dass die Gefahren der Nutzung der besagten Plattformen bei jungen Nutzer*innen den Vorteilen überwiegen. Einerseits erntet das Parlament dafür große Zustimmung – auch international. So befürworten nicht nur etwa 75% der Australier*innen das Gesetz. Auch beispielsweise in Deutschland findet es laut Befragungen beim Großteil der Menschen Anklang. Gleichzeitig merken Kritiker*innen an, das Gesetz vermittle ein Gefühl falscher Sicherheit, sei nicht ausreichend, um die tiefgreifenden Probleme zu bewältigen und könne einige sogar noch verschärfen.
Anbietende in der Pflicht
Das australische Parlament sieht sich mit dem Gesetz als Pionier für die altersgerechte Regulierung von Social-Media-Angeboten. Das Verbot soll Kinder und Jugendliche beispielsweise vor dem Kontakt mit Online-Mobbing, Fake News, unrealistischen Körperbildern oder auch vor exzessiver Mediennutzung schützen. Tatsächlich ist es weltweit bisher einzigartig, dass ein Land den Plattformbetreibenden eine Schutzpflicht für ihre jungen Nutzer*innen auferlegt. Denn diese sollen die Maßnahmen zur strengen Altersüberprüfung selbst innerhalb eines Jahres ausarbeiten und fortan überwachen. Bei Verstößen drohen hohe Geldstrafen. Dies ist einerseits ein wichtiger Schritt. Denn es sind die Anbietenden, welche die Verantwortung tragen sollten, dass das, was Kinder und Jugendliche auf Social Media sehen, auch für sie angemessen ist. Gleichzeitig sorgt das Gesetz besonders bei Eltern und anderen Betreuenden für (vermeintliche) Klarheit. Nicht selten sind sie mit den komplexen Technologien selbst überfordert und fühlen sich alleingelassen mit der Aufgabe, hierfür sinnvolle Regeln aufzustellen. Durchaus verständlich also, dass viele von ihnen den Entschluss begrüßen. So macht es ein vom Staat beschlossenes Verbot ihnen nun möglicherweise leichter, eigene Regeln durchzusetzen und gibt ihnen das Gefühl, dass der Nachwuchs besser geschützt ist.
Trügerische Sicherheit
Doch ist das wirklich so? Hier lässt sich der erste Kritikpunkt anführen: Das Verbot kann ein Gefühl von vermeintlicher Sicherheit vermitteln. Es ist stark davon auszugehen, dass die Jugendlichen Wege finden werden, um die Plattformen dennoch zu nutzen. Sollten sie das schaffen, sind die Inhalte auch nach dem Erlass des australischen Gesetzes unverändert und möglicherweise nicht altersgerecht. Daher sollten die Tech-Konzerne eher generell, also auch bei Jugendlichen über 16 Jahren, in die Pflicht genommen werden, die Inhalte auf den Plattformen altersgerecht auszuspielen. Zudem befürchten einige Expert*innen, dass sich die Kinder und Jugendlichen nach alternativen Angeboten umschauen werden, welche noch weniger Schutz bieten als die bisher genutzten Plattformen. Außerdem ist auch die Nutzung von Messengern mit Kontaktrisiken wie zum Beispiel Online-Mobbing oder Cybergrooming verbunden. Es scheint also klar, dass sich der Kontakt mit Social Media und den damit verbundenen Herausforderungen auch mit dem australischen Gesetz nicht gänzlich verhindern lässt. Gleichzeitig könnte es dazu führen, dass nicht nur die Nutzung verbotener oder alternativer Plattformen verheimlicht wird, sondern auch potenzielle negative Erlebnisse, die während dieser “heimlichen Nutzung” auftreten. Aus Scham oder aus Angst, wegen ihrem “Verstoß” gegen das Verbot verurteilt zu werden, könnten einige der Kinder davor zurückschrecken, sich Eltern oder anderen Bezugspersonen anzuvertrauen. Das Problem, dass Kinder und Jugendliche bei Herausforderungen im Netz häufig nicht auf Erwachsene in ihrem Umfeld zugehen, könnte sich durch das Verbot also nochmals verschärfen.
Medienkompetenz kennt kein Alter
Weiterhin stellt sich die Frage, wie die Jugendlichen auf ihren Social-Media-Eintritt mit 16 Jahren vorbereitet sein sollen. Was qualifiziert sie dafür – außer die Tatsache, „alt genug“ zu sein? Es dürfte außerdem auch mit 16 Jahren nach wie vor unterschiedlich sein, welche Inhalte für Jugendliche „angemessen“ sind. Das Gesetz lässt hier einerseits offen, was die Plattformbetreibenden auch zu ihrem Schutz unternehmen müssen. Andererseits wurden keine Maßnahmen beschlossen, welche zum Beispiel eine Förderung von Medienkompetenz vor und ab 16 Jahren vorsehen. Der Fokus sollte darauf liegen, die Kinder und Jugendlichen in einem gesunden Umgang mit den sozialen Medien zu stärken, sie für mögliche Risiken zu sensibilisieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, über etwaige negative Erlebnisse zu sprechen.
Weitere Bedenken
Bei der Umsetzung des Verbots gibt es außerdem große Bedenken zum Datenschutz. Denn bei den bisher diskutierten Verfahren wie Alterskontrollen aller Nutzer*innen anhand biometrischer Daten wie Gesichtserkennung, staatlicher Identifikation oder Verifizierung durch Drittanbieter, entstehen äußerst sensible Daten. Da die Alterskontrolle den Plattformbetreibern obliegen soll, müssen diese die Daten bei ihnen speichern. Jedoch erwiesen sich Tech-Konzerne wie Meta und Co. in der Vergangenheit im Umgang mit personenbezogenen Daten als nicht sonderlich vertrauenswürdig. Das Gesetz sieht zwar auch strenge Datenschutzverordnungen vor, jedoch bleibt für viele offen, inwiefern diese eingehalten und überprüft würden.
Zuletzt lässt sich diskutieren, ob das Gesetz den Kindern und Jugendlichen in einer wichtigen Phase der Persönlichkeitsfindung Chancen verwehrt. Social Media dient vielen zur Orientierung, Interessensfindung und Suche nach Repräsentation. Kinder und Jugendliche haben die Möglichkeit, Communities oder potenziellen Hobbies zu begegnen, mit denen sie in ihrem Umfeld sonst nicht in Kontakt gekommen wären. Das kann eine Bereicherung für ihr Leben sein. Diese Chancen, welche Social Media auch schon für Jugendliche unter 16 Jahren bietet, werden ihnen durch das Verbot erstmal verwehrt.
Keine vollständige Lösung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit dem vom australischen Parlament verabschiedeten Gesetz zum Social-Media-Verbot für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren durchaus einige vielversprechende Schritte beschlossen wurden. Dazu zählt zum einen der Versuch, die Kinder und Jugendlichen in einem für ihre Entwicklung entscheidenden Alter vor den herausfordernden Aspekten der Social-Media-Nutzung zu schützen sowie Eltern und pädagogische Fachkräfte zu entlasten. Zum anderen ist das In-Die-Pflicht-Nehmen der Plattformbetreibenden, für den Schutz der jungen Nutzer*innen zu sorgen, ein äußerst wichtiges Signal. Jedoch bietet das Gesetz kaum Lösungen für die vielen Herausforderungen, die trotz des Verbots bestehen bleiben. Aus diesem Grund muss es mit Maßnahmen zum Jugendmedienschutz, der Prävention und Förderung der Medienkompetenz einhergehen. Nicht nur, um findige Jugendliche unter 16 Jahren, die es trotz Verbot auf die Plattformen schaffen, vor der ungeschützten Begegnung mit ungeeigneten Inhalten zu schützen oder die Nutzung von Messengern für sie sicher zu gestalten. Sondern auch, um dafür zu sorgen, dass die Jugendlichen an ihrem 16. Geburtstag bereit für ihren Eintritt in die sozialen Netzwerke sind und dort auf Inhalte treffen, die für sie angemessen sind. Zudem bleibt die Frage, inwiefern die Chancen, welche die Nutzung von Social Media bietet, durch alternative Angebote dennoch zugänglich gemacht werden können. Klar ist also: Um dieses komplexe Problem wirklich anzugehen, kann ein Verbot ein Anfang sein, keinesfalls aber die (einfache) Lösung.