Winter Arc – Zwischen gesunder Motivation und problematischer Selbstoptimierung
Viele verbinden die kalten Monate damit es ruhiger anzugehen, die Heizung aufzudrehen und es sich auf der Couch gemütlich zu machen. Vorsätze für Sport und Ernährung werden oft erst im neuen Jahr anvisiert – so auch bei unzähligen Challenges zum Jahresbeginn auf Social Media. Teilnehmende des Winter Arc Trends hingegen möchten die verbleibenden Monate zur Selbstoptimierung nutzen, um den Jahresbeginn als neue, optimierte Person zu feiern.
Was ist der Winter Arc Trend?
Die Generation Z hat den Begriff Winter Arc bereits im letzten Jahr auf TikTok etabliert. Der Begriff Arc (engl.: Bogen) stammt aus der Literatur und beschreibt metaphorisch die Transformation beziehungsweise Entwicklung, die eine Figur in einer Geschichte durchläuft, sowie die Herausforderungen, die diese im Zuge ihrer Zielerreichung durchlebt. Der Winter Arc startet offiziell am 01. Oktober und erstreckt sich bis zum Ende des Jahres. Im Gegensatz zu vielen anderen Challenges beschränkt er sich jedoch nicht ausschließlich auf Fitnessziele. Zudem gibt es, anders als beispielsweise bei der 75HardChallenge, keinen strikten Plan. Beim Winter Arc können Teilnehmende sich ihre eigenen Ziele setzen – grundlegend geht es darum neue Routinen zu entwickeln und Gewohnheiten zu schaffen. Viele streben das Etablieren gesünderer Ernährungsgewohnheiten und Bewegungsroutinen an und auch das Einhalten eines geregelten Schlafrhythmus oder das Reduzieren der täglichen Bildschirmzeit gehören häufig dazu.
Es lassen sich jedoch unterschiedliche Strömungen beobachten: Manche nutzen den Winter Arc, um neue Erfolge bezüglich körperlicher Fitness und mentaler Disziplin zu feiern. Sie wollen aktiv ihre Komfortzone verlassen, um sich in höchstmöglicher Disziplin zu üben. Bezüglich der Sport- und Ernährungsroutine gibt es hier keine Kompromisse – wer „failt“, ist raus. In extremeren Fällen wird ausschließlich kalt geduscht, sich aus dem Sozialleben zurückgezogen und jegliche Ablenkungen wie beispielsweise das Anschauen von Serien verboten.
Eine andere, etwas sanfter gelebte Motivation für den Winter Arc besteht darin, die mentale Gesundheit zu priorisieren und saisonaler Depression vorzubeugen. Ziel hierbei ist es, die kalte Jahreszeit „sinnvoll“ zu nutzen. Dies kann neben Vorsätzen bezüglich Ernährung und Sport beispielsweise auch darin bestehen ein neues Hobby zu verfolgen und Achtsamkeit zu üben.
Inszenierung auf Social Media
Videos, mit Weckern, die um 5:30 klingeln, in denen Creator*innen noch im Dunkeln ins Fitnessstudio fahren, werden mit dramatischer Musik oder anspornenden Sprüchen: „Wer hat Bock Winter Arc mit mir auseinander zu nehmen?” (TikTok, @fadi.nia) hinterlegt.
Entsprechend der angestrebten Charaktertransformation wird der Winter Arc auf Social Media häufig als Heldenreise inszeniert. Aussagen wie „In den nächsten drei Monaten wirst du dein Leben komplett auf null bringen” (TikTok, @katikr) unterstreichen, dass manche Teilnehmende eine völlige Neugestaltung ihrer Person anstreben und ihr „altes Ich“ nicht mit ins neue Jahr nehmen wollen: „Ich musste mein altes Ich vollständig zerstören, um dort zu sein, wo ich jetzt bin” (TikTok, @ayat.kanaan). In manchen Fällen geht es so weit, dass Creator*innen dazu aufrufen eine Art symbolische Beerdigung für ihr „altes Ich“ abzuhalten.
Bei weiblichen Creatorinnen gibt es zudem Parallelen zu anderen TikTok Trends, beispielsweise dem That Girl oder Girlboss-Trend.
In diesem Jahr hat sich, insbesondere in den USA, zudem die Winter Arc Variante The Great Lock in of 2025 etabliert. Diese startete bereits im September und legt einen stärkeren Fokus auf eine gemeinschaftliche Bewegung. Die Formulierung „Lock in” nutzt die Generation Z, um eine starke Fokussierung zu beschreiben, ein bestimmtes Ziel zu erreichen.
Herausforderungen
Eine gesunde Ernährungsweise, Sport und neue Hobbies in seinen Alltag zu integrieren können grundsätzlich sinnvolle Ziele sein. Dementsprechend können Inhalte auf Social Media, die sich diesen Themen widmen eine motivierende Wirkung erzeugen.
Allerdings können einige der Darstellungen auf Social Media insbesondere bei jungen Menschen für starken Perfektionsdruck sorgen. Denn viele der Beiträge bezüglich der Ausgestaltung des Winter Arcs bewegen sich auf einem schmalen Grat zwischen Selbstfürsorge und toxischer Selbstoptimierung.
Ebenfalls bedenkenswert ist die Tatsache, dass die von einigen Creator*innen geforderte kompromisslose Verpflichtung sowie strikte Verbote keinen Raum für Spontaneität lassen. So zum Beispiel wird in vielen Inhalten dazu aufgerufen sich mehr oder gar ausschließlich auf sich selbst zu fokussieren. Gerade für Jugendliche spielen soziale Beziehungen eine wichtige Rolle, weshalb sie dadurch in einen inneren Konflikt geraten können.
Social Media Trends wie der Winter Arc rufen zur Selbstoptimierung auf, was Druck auslösen kann, diesem inszenierten Ideal entsprechen zu wollen. Dabei ist es abschließend wichtig zu betonen, dass Jugendliche sich in einer sensiblen Phase der Identitäts- und Körperbildentwicklung befinden. Soziale Vergleichsprozesse mit Gleichaltrigen und medial vermittelten Idealen können Unsicherheiten in dieser Lebensphase verstärken.
Tipps und Hinweise
Der Winter Arc Trend kann von Zuschauenden als gesundheitsfördernd wahrgenommen werden. Gleichzeitig ruft er zur Selbstoptimierung auf, verstärkt soziale Vergleichsprozesse und fördert ein Denken in Leistungskategorien. Eltern und pädagogische Fachkräfte sollten Trends wie den Winter Arc dennoch nicht zu schnell verurteilen. Wichtiger ist es, mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und Interesse an ihrer Faszination für derartige Inhalte zu zeigen. Auf diese Weise entsteht Raum für Gespräche, in denen thematisiert werden sollte, wo die Grenze zwischen gesunder Motivation und problematischer Selbstoptimierung liegt. Des Weiteren sollte Jugendlichen vermittelt werden, dass ständige Vergleiche zu Druck und einem negativen Selbstwertgefühl führen können, was sich wiederum negativ auf die psychische Gesundheit auswirken kann. Denn ein ständiges Messen an vermeintlich perfekten Vorbildern kann selbstabwertende Gedanken hervorrufen.
Grundsätzlich gilt dabei, Gesundheitsförderung nicht als die individuelle Aufgabe von Jugendlichen zu verstehen. Sie müssen lernen, achtsam mit sich selbst umzugehen. Dafür bedarf es an unterstützenden Strukturen seitens der Eltern, Lehrkräfte und weiteren Bezugspersonen.